Prof. Dr. Jörg Niewöhner
Anthropology of Science and Technology
Department of Science, Technology and Society
Facts:
- Lieblingsbuch: A little life / Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara
- wichtiger Gegenstand: Unser Sofa. Ich stehe einfach nicht gerne.
- seit Oktober 2023 an der TUM
Interview
1. Wer sind Sie und was machen Sie an der SOT?
Mein Name ist Jörg Niewöhner und ich habe die Professur Anthropology of Science and Technology am Department for Science, Technology, and Society inne.
2. Was sind Ihre Forschungsfelder und was fasziniert Sie an diesen?
Ich betreibe ethnographische Wissenschaftsforschung – oder science and technology studies, d.h. ich nutze empirische Methoden um den Alltag wissenschaftlicher Praxis zu verstehen. So, wie die Anthropologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ‚fremde Kulturen‘ beforscht hat, beforsche ich also jetzt Wissenschaft selbst als ‚fremde Kultur‘. Diese Forschung ist wichtig, weil Wissenschaft in und mit Gesellschaft natürlich viel mehr macht, als die Wissenschaftler:innen selbst intendieren oder sehen. Wir leben schließlich in Wissensgesellschaften. Faszinierend ist das, weil man sich eng mit aktueller Spitzenforschung auseinandersetzen darf. Spannender wird es ja eigentlich nicht.
3. Was sind die aktuell wichtigen Themenbereiche in Ihrer Forschung? Wie haben sich diese in den letzten Jahren verändert und haben Sie eine Idee, wie sich diese in den nächsten zwei Jahren verändern werden?
Ich habe mich lange mit der Molekularbiologie und der Nachhaltigkeitsforschung beschäftigt. An der TUM bauen wir jetzt einen neuen Schwerpunkt zu nachhaltiger Chemie auf. Industrielle Gesellschaften sind an einem Punkt angelangt, wo wir ein neues Denken und neue Produktionsweisen benötigen, um die materielle Grundlage unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft zu verändern – vor allem nachhaltiger zu gestalten. Das benötigt neue Wege im molecular design und meine Gruppe ist der Meinung, dass das auch sozialwissenschaftliche Erkenntnis und Zusammenarbeit benötigt. Das wollen wir an der TUM aufbauen. Ich denke, dass dieser Ansatz in den nächsten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit erfahren wird.
4. Wie sind Sie dazu gekommen, Professor zu werden und warum an der TUM?
Mich hat schon immer interessiert, was andere Menschen so denken und schreiben und wie sich daraus andere Perspektiven auf die Welt und ihre Probleme ableiten lassen. Da lag ein universitärer Weg nahe. So habe ich in England Umweltwissenschaften studiert und dort auch promoviert, mich dann in Berlin zum Anthropologen und Wissenschaftsforscher ‚umschulen’ lassen, und fühle mich jetzt in der richtigen Verfassung, um das Wissen der science and technology studies ins Herz eines Technologie- und Naturwissenschaftsstandorts zu tragen.
5. Was kann ein Studium heute leisten und warum sollten Menschen bei Ihnen studieren?
Bildung ist für mich die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven auf die Welt zu verstehen und auszuhalten. Dazu muss ich das richtige Maß an Spezialisierung und Generalität finden. Dieses Maß sollte ein guter Studiengang und eine gute Veranstaltung nahelegen. Und dann muss es gemeinsam in der Veranstaltung auch Spaß machen, damit man die Frustrationen aushalten kann, die unweigerlich damit einhergehen, so denken zu lernen wie andere Menschen.
6. Von wem haben Sie in Ihrem Leben am meisten gelernt?
Von meinem Doktorvater – Simon Gerrard – neben der Risikoforschung vor allem über Universität als soziale Praxis. Und von meinem Mentor in der Anthropologie – Stefan Beck – die Fähigkeit, aber auch wirklich jede liebgewonnene Gewissheit auf freundliche und produktive Art wieder infrage zu stellen.
7. Gibt es etwas, was Sie schon immer mal ausprobieren wollten und wozu Sie noch nicht gekommen sind? Wenn ja, woran lag es, dass Sie noch nicht dazu gekommen sind?
Wenn es nicht nur um Berufliches geht: Ich würde sehr gerne einmal ein professionelles Orchester dirigieren. Das ist bisher nicht passiert, weil ich nicht dirigieren kann. Das wird wohl auch so bleiben – und das ist auch gut so, wie man in Berlin sagt. Professionell: Ich hätte gerne mehr Zeit, um in den Naturwissenschaften – wie jetzt in der Chemie – wirklich in den Laboralltagen mitzuarbeiten.
8. Mit welchem Satz würde Ihre Biografie beginnen?
Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, als dieses Buch zu lesen, suchen Sie sich Hilfe.
9. Wie könnte Ihr Alltag ohne Arbeit aussehen?
Mehr Zeit für Sport mit meiner Frau und Freunden bevor es etwas Leckeres zu essen und zu trinken gibt.
10. Wie verbringen Sie Ihre Wochenenden?
Recht unterschiedlich. Sport, Arbeiten, Kochen in erholsamem Maße.
11. Widdersdorf, Berlin oder München: Wo lebt es sich am besten?
Derzeit: München.
12. Gibt es einen Gegenstand, den Sie in Ihrem Leben nicht missen möchten? Wenn ja, welchen und warum?
Unser Sofa. Ich stehe einfach nicht gerne.
13. Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum können Sie es empfehlen?
Hanya Yanagihara: A little life / Ein wenig Leben. Ich habe noch nie in einem Buch so intensive Glücksmomente mit den Protagonisten durchlebt und noch nie so verzweifelt mitgelitten. Es ist für mich ein sprachliches Meisterwerk und eine Ausnahmeerscheinung. Aber Vorsicht: Viele Menschen konnten es nicht zu Ende lesen.