Prof. Dr. Christian Djeffal
Professur für Recht, Wissenschaften und Technik
Department of Science, Technology and Society
Facts:
- Lieblingsbuch: Es fällt mir schwer, mich auf ein einziges Lieblingsbuch festzulegen. Mein E-Reader enthält eine Vielzahl von Werken
- wichtiger Gegenstand: japanischen Shincha
- seit Juli 2019 an der TUM
Interview
1. Wer sind Sie und was machen Sie an der SOT?
Mein Name ist Christian Djeffal und ich bin Professor für Recht, Wissenschaft und Technik an der TUM School of Social Sciences and Technology. Nach Stationen in Berlin, Cambridge, London, München und Zürich bin ich seit 2019 an der Technischen Universität München tätig. Als Rechtswissenschaftler beschäftige ich mich hier insbesondere mit den Wechselwirkungen zwischen Recht, Technologie und Gesellschaft.
2. Was sind Ihre Forschungsfelder und was fasziniert Sie an diesen?
Ich interessiere mich schon lange dafür, wie sich Gruppen und Gesellschaften verändern oder statisch bleiben - und wie man solche Prozesse bewusst und demokratisch gestalten kann. In den letzten 15 Jahren habe ich mich verstärkt mit der Rolle beschäftigt, die neue Technologien wie Künstliche Intelligenz dabei spielen. Neben der rechtlichen Regulierung dieser Technologien entwickeln wir in meiner Forschungsgruppe auch interdisziplinäre Ansätze unter den Stichworten "Legal Design" und "Constitutional Design". Dabei geht es darum, den normativen Wandel aktiv mitzugestalten.
3. Was sind die aktuell wichtigen Themenbereiche in Ihrer Forschung? Wie haben sich diese in den letzten Jahren verändert und haben Sie eine Idee, wie sich diese in den nächsten zwei Jahren verändern werden?
Als ich 2012 begann, mich intensiv mit Künstlicher Intelligenz und Gesellschaft zu beschäftigen, war das noch ein Nischenthema. Inzwischen ist es in aller Munde - befeuert durch staatliche KI-Strategien, Skandale wie diskriminierende Algorithmen und Aussagen wie die von Wladimir Putin, wer KI beherrsche, beherrsche die Welt.
Aktuell stehen wir kurz vor dem Inkrafttreten des ersten großen Regelwerks, dem EU-KI-Gesetz. In den nächsten Jahren wird es darum gehen, dieses in die Praxis umzusetzen. Gleichzeitig wirft gerade die Entwicklung der sogenannten generativen KI neue Fragen auf: Wie können wir diese Technologien regulieren und gleichzeitig zur Verwirklichung verfassungsrechtlicher Werte nutzen? Hier sind kreative Ansätze gefragt, bei denen Recht und Technik Hand in Hand gehen. Diesen Fragen möchte ich mit meiner Forschungsgruppe nachgehen.
4. Wie sind Sie dazu gekommen, Professor zu werden und warum an der TUM?
Ich habe die Wissenschaft eigentlich nie explizit als Berufsziel für mich formuliert. Aber ich habe es immer als Privileg empfunden, mich intensiv und tiefgehend mit Fragen auseinandersetzen zu können, die ich als Schlüsselfragen meiner Zeit empfunden habe. Das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass es mich an wichtigen Weggabelungen meines Lebens immer magisch in diese Richtung gezogen hat, auch wenn für mich andere Berufe in Frage gekommen wären.
So war es auch mit den Fragen von Technik und Gesellschaft im Wandel. Im Rahmen meiner Promotion wurde mir klar, wie groß der Forschungsbedarf in diesem Bereich ist und wie wichtig es ist, interdisziplinär zu arbeiten. Deshalb habe ich sowohl mein Referendariat als auch meine Zeit als Postdoc dazu genutzt, mich interdisziplinär mit Fragen des Rechts, der Digitalisierung und der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Von daher ist es für mich natürlich ein großes Glück, 2019 an die TUM kommen zu können, wo ich mich nicht nur mit den großen Köpfen aus den Technik- und Naturwissenschaften austauschen kann, sondern auch im Konzert mit Kolleginnen und Kollegen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften forschen kann, die sich mit ähnlichen Fragen oder Phänomenen beschäftigen.
5. Was kann ein Studium heute leisten und warum sollten Menschen bei Ihnen studieren?
Ein Studium sollte den Studierenden die Möglichkeit geben, wertvolle Kompetenzen zu erwerben und in ihrer Entwicklung einen großen Schritt voranzukommen. Ich spreche gerne von "Kompetenz-Kompetenz" - die Fähigkeit, sich selbstständig in komplexe Fragestellungen einzuarbeiten und sich Fertigkeiten anzueignen. Denn es reicht heute nicht mehr aus, eine Fertigkeit oder eine Methode zu erlernen und diese dann ein Leben lang anzuwenden. Man muss flexibel denken und problemorientiert handeln. Das versuche ich in meinen Veranstaltungen zu vermitteln. Wer Interesse hat, Zukunftsfragen proaktiv auszuloten und an großen Herausforderungen zu wachsen, ist in meinen Veranstaltungen herzlich willkommen.
6. Von wem haben Sie in Ihrem Leben am meisten gelernt?
Ich hatte das Glück, in meinem Leben herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu begegnen und im Austausch mit ihnen viel zu lernen. Vor allem aber habe ich von meinen Eltern gelernt, das Gute vom Schlechten zu unterscheiden, Haltung zu bewahren, Ideen konsequent zu verfolgen, respektvoll mit anderen umzugehen und immer auch an die zu denken, die schwach sind und denen es nicht so gut geht. Diese Werte und Fähigkeiten helfen in jeder Lebenslage - auch in der Wissenschaft. Für diese Erziehung und Prägung bin ich meinen Eltern zutiefst dankbar.
7. Gibt es etwas, was Sie schon immer mal ausprobieren wollten und wozu Sie noch nicht gekommen sind? Wenn ja, woran lag es, dass Sie noch nicht dazu gekommen sind?
Meine Liste ist lang: Zu Fuß und mit dem Fahrrad um die Welt reisen, von Nord nach Süd und von Ost nach West, weil man die Dinge anders wahrnimmt, wenn man sich langsam bewegt. Einmal in den Weltraum fliegen und die Erde von oben betrachten. Wenn ich viel mehr Zeit hätte, würde ich gerne viel mehr über andere Kulturen lernen, indem ich fremde Sprachen spreche und fremde Gerichte koche. Beides sind wichtige Schlüssel, um andere Menschen besser zu verstehen.
8. Mit welchem Satz würde Ihre Biografie beginnen?
Stefan Zweig beginnt sein Werk "Die Welt von Gestern" mit den Worten: "Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit." Aus heutiger Sicht trifft dies auch auf meine Kindheit und Jugend im München vor der Jahrtausendwende zu. Viele der drängenden Fragen unserer Zeit schienen damals noch in weiter Ferne zu liegen. Gleichzeitig erinnere ich mich an Besuche im inzwischen geschlossenen Siemens-Museum, wo es wohl den ersten öffentlichen Internetzugang Münchens gab - eine Erfahrung, die aus heutiger Sicht anmutet wie Telefonieren mit Wählscheibe. Ob diese Perspektive auf mein Leben auch später noch gilt, möchte ich offen lassen - ganz im Sinne von Zweigs Vorwort: "Ich habe meiner Person niemals so viel Wichtigkeit beigemessen, daß es mich verlockt hätte, anderen die Geschichten meines Lebens zu erzählen."
9. Wie könnte Ihr Alltag ohne Arbeit aussehen?
Wenn ich keine Erwerbsarbeit leisten würde, würde ich dennoch viele Dinge weiterhin tun, die meinen Alltag bestimmen: ich würde spannenden Ideen nachspüren und versuchen, ihnen durch Recherche und im Schreiben noch etwas hinzuzufügen. Ich würde schöne Orte bereisen und dort mit interessanten Menschen vertiefende Gespräche suchen und gleichsam versuchen, das Gelernte an die nächsten Generationen weiterzugeben. Im Vergleich zu meinem jetzigen Alltag wäre ich noch mehr unterwegs in einem Leben ohne Gremiensitzungen und Korrekturen.
10. Gibt es einen Gegenstand, den Sie in Ihrem Leben nicht missen möchten? Wenn ja, welchen und warum?
In meiner Jugend übte ich mich auf Wanderungen darin, mit möglichst wenig Gepäck auszukommen und in der Natur auf Gegenstände aus Kunststoff, Elektronik und Plastik weitgehend zu verzichten. Aus dieser Zeit weiß ich, dass man eigentlich gar nicht so viel zum Leben braucht, dass viele Dinge das tägliche Leben aber angenehmer machen. Würde ich von heute auf morgen ein solch reduziertes Leben beginnen, würde ich einiges vermissen - allen voran japanischen Shincha, einen grünen Tee, den ich täglich genieße.
11. Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum können Sie es empfehlen?
Es fällt mir schwer, mich auf ein einziges Lieblingsbuch festzulegen. Mein E-Reader enthält eine Vielzahl von Werken, die mir wichtig sind und die ich jederzeit griffbereit haben möchte - darunter Kants "Metaphysik der Sitten", "Peace Through Law" von Hans Kelsen und die Gedichte von Ingeborg Bachmann. Doch wenn ich ein physisches Buch hervorheben müsste, wäre es "Lyrische Signaturen" von Walter Urbanek. Diese Anthologie versammelt ein Jahrtausend deutscher Dichtung in einem einzigen Band. Ob ich nach einem passenden Wort für eine bestimmte Stimmung suche oder einfach nur jeden Tag ein inspirierendes Gedicht lesen möchte - in den "Lyrischen Signaturen" werde ich immer fündig. Die Vielfalt der Texte und die Möglichkeit, je nach Gemütslage und Anlass darin zu blättern, machen dieses Buch zu einem ständigen Begleiter und einer beständige Quelle der Inspiration.