
Prof. Dr. Samuel Greiff
Educational Monitoring and Effectiveness
Department of Science, Technology and Society
Facts:
- Lieblingsbuch: „Mein größtes Rätsel bin ich selbst: Die Geheimnisse der Psyche“ von Cécile Loetz und Jakob Müller
- wichtiger Gegenstand: Dauerkarte für den Familienblock des SV Wehen Wiesbaden
- seit Oktober 2024 an der TUM
Interview
1. Wer sind Sie und was machen Sie an der SOT?
Mein Name ist Samuel Greiff und ich bin seit Oktober 2024 Professor für „Educational Monitoring & Effectiveness“ an der TUM School of Social Sciences & Technology. Diesen Lehrstuhl gab es an der TUM vorher nicht und das Besondere an ihm ist, dass er eng mit der PISA-Studie und mit der Leitung des nationalen PISA-Zentrums verbunden ist. Die PISA-Studie der OECD – kurz für Programme for International Student Assessment – untersucht in über 90 Ländern die Kompetenzen von Schüler*innen und will Aussagen über die „Leistungsfähigkeit“ und „Kontextbedingungen“ eines Bildungssystems treffen. Immer wenn eine neue Studie publiziert wird, zuletzt war das Ende 2023, rückt PISA – meistens mit wenig erfreulichen Überschriften – in die Öffentlichkeit und ins kollektive Bewusstsein.
2. Was sind Ihre Forschungsfelder und was fasziniert Sie an diesen?
Meine Forschungsinteressen liegen im Bereich systemischer Bildungsfragen sowie Bildungsmonitoring auf der Basis groß angelegter Bildungsvergleichsstudien, eben wie PISA. Übrigens, es gibt viele sogenannter „Large-Scale Assessments“, zB die Bildungstrends des IQB, die auch Vergleiche zwischen Bundesländern erlauben, oder PIAAC, das sich auf Erwachsene in der Erwerbstätigkeit konzentriert, oder auch IGLU mit einem Schwerpunkt auf Lesen in der Grundschule. PISA fokusiert auf 15-jährige Schüler*innen weltweit.
Ich versuche, Bildung aus einer ganzheitlichen Perspektive zu betrachten, die sowohl individuelle als auch systemische und gesellschaftliche Faktoren einbezieht. Besonders globale und technologische Entwicklungen wie die Nutzung von Künstlicher Intelligenz spielen dabei eine Rolle auf ganz unterschiedlichen Ebenen: Wie können wir KI nutzen, um komplexe Datensätze besser zu verstehen und angemessene Schlüsse aus PISA zu ziehen, aber auch welche Rolle spielt KI für Lehrkräfte und Schüler*innen und was muss Schule beibringen, um, auf einer gesellschaftlichen Ebene, gute Voraussetzungen für einen verantwortungsbewussten Umgang mit KI zu ermöglichen.
Manchmal ist es eine ausgesprochen große Herausforderung, die rasanten Entwicklungen unserer Gesellschaft in unserer Forschung und auch in PISA adäquat abzubilden. Das trifft natürlich noch in viel höherem Maße auf den Bildungsbereich als solchen und das föderale Bildungssystem, das wir in Deutschland haben, zu: Wie sollen es komplex organisierte Bildungssysteme schaffen, sich innerhalb kürzester Zeit auf die rasanten gesellschaftlichen und technologischen Neuerungen einzustellen? Das ist eine große Herausforderung, aber auch eine Chance, hier evidenzbasiert einen Beitrag zu leisten. In diesem Spannungsfeld zwischen empirischer Bildungsforschung, nationaler und internationaler Bildungspolitik und angewandter Bildungspraxis möchten wir uns als „PISA-Team“ an der TUM bewegen.
3. Was sind die aktuell wichtigen Themenbereiche in Ihrer Forschung? Wie haben sich diese in den letzten Jahren verändert und haben Sie eine Idee, wie sich diese in den nächsten zwei Jahren verändern werden?
Die wichtigsten Themenbereiche sind in meiner vorherigen Antwort schon angeklungen. Die eigentlich zentrale Frage ist, wie können Bildungssysteme Schüler*innen auch heute noch erreichen und ihnen das mitgeben, was sie benötigen um sich erfolgreich in der Welt zu bewegen und konstruktiv zu unserer Gesellschaft beizutragen? Dabei geht es natürlich um die Frage, wie Technologie und Mensch Hand-in-Hand agieren können, aber auch genereller um die Frage, welche Kompetenzen formale Bildung denn vorhalten muss. Heute brauchen wir exzellent ausgebildete Basiskompetenzen auf denen wir aufbauen können, aber das alleine reicht schon längst nicht mehr aus. Neben den „klassischen“ Basiskompetenzen messen sich Chancen und Erfolg immer mehr an Kompetenzen wie Problemlösen, Kollaboration, Demokratieverständnis, die Fähigkeit mit KI umzugehen, etc. – diese über den gesamten Bildungszyklus mitzudenken und dabei allen Schüler*innen, unabhängig von ihrem Hintergrund, aussichtsreiche Chancen in der Vermittlung dieser Kompetenzen und damit für ihre Zukunft zu bieten – das sind aktuelle und wichtige Herausforderungen, denen wir uns stellen wollen.
4. Wie sind Sie dazu gekommen, Professor zu werden und warum an der TUM?
Zu sagen, mein Weg zur Professur war indirekt wäre noch untertrieben. Zu Beginn des Studiums wollte ich als niedergelassener Psychotherapeut arbeiten und die Forschung als Karriereweg hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. Auch nach dem Studium habe ich eine Promotionsstelle in einem Forschungsprojekt eher aus Verlegenheit angenommen, weil ich gar nicht so recht wusste, was ich eigentlich mit meinem (damals noch) Diplom anfangen sollte. Entscheidend war dann, dass sich bereits früh in meinem Promotionsprojekt Anknüpfungspunkte zu PISA ergeben haben und von Anfang an fand ich die Schnittstelle zwischen empirischer Bildungsforschung und Bildungspolitik, also Fragen, die eine hohe Relevanz für unser Miteinander haben, ausgesprochen spannend. Und irgendwie hat mich das seitdem nicht mehr losgelassen…
Und warum an der TUM? Naja, eigentlich steckt die Begründung schon im Leitbild drin: Für die TUM stehen Mensch, Natur und Gesellschaft im Mittelpunkt und kaum etwas liegt näher an dem, was ich mit meiner Forschung und mittelbar durch PISA gemeinsam mit meinem Team und vielen tollen Kolleg*innen an der TUM erreichen möchte: Einen nachhaltigen und positiven Beitrag zu Bildung und damit zur Gesellschaft liefern.
5. Von wem haben Sie in Ihrem Leben am meisten gelernt?
Das ist ausgesprochen schwierig zu beantworten, aber ich würde sagen, dass ich aktuell am meisten von meinen Kindern lerne. Dabei habe ich insbesondere Lernbedarf, wenn es darum geht, nicht zu verkopft an die Dinge heranzugehen und auch mal abzuschalten. Da sind Kinder mit ihren hohen emotionalen Kompetenzen und ihrer Unmittelbarkeit im Moment perfekte Lehrkräfte (und nur am Rande sei mir ein kurzer Verweis auf das Survey on Social and Emotional Skills (SSES) der OECD erlaubt).
6. Mit welchem Satz würde Ihre Biografie beginnen?
Eigentlich wollte er etwas ganz anderes tun, aber er kam einfach nicht dazu.
7. Wie könnte Ihr Alltag ohne Arbeit aussehen?
Da würde mir so einiges einfallen, vor allem auch weil Wissenschaft ja nicht nur Arbeit ist, sondern auch individuelle Bereicherung und Erfüllung sein kann. Ich würde also wahrscheinlich weiter wissenschaftlich tätig sein. Aber ich fahre auch leidenschaftlich gerne Fahrrad (noch nicht mit dem E-Bike, aber dafür dann doch lieber bevorzugt flach; Alpenüberquerung kommt für mich also nicht in Frage), verbringe gerne Zeit mit meinen 3 Kindern (was aktuell noch auf Gegenseitigkeit beruht) und verfolge mit viel Enthusiasmus Fußball. Früher sehr gerne in der 1.Liga, aber seit einiger Zeit bin ich großer Fan des SV Wehen Wiesbaden, der aktuell in der 3.Liga spielt. Ich hätte ohne Arbeit in jedem Fall ein Abo zu allen Fußballstreamingdiensten.
8. Wie verbringen Sie Ihre Wochenenden?
Im Idealfall so, wie in der vorherigen Frage skizziert: etwas Fahrrad fahren, mit meinen Kindern spielen und nebenbei auch noch den Wochenendgroßeinkauf regeln und ein Fußballspiel schauen, am liebsten direkt im Stadion mit völlig faszinierten Kindern neben mir.
9. Gibt es einen Gegenstand, den Sie in Ihrem Leben nicht missen möchten? Wenn ja, welchen und warum?
Dauerkarte für den Familienblock des SV Wehen Wiesbaden.
10. Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum können Sie es empfehlen?
So ich dazu Zeit finde, lese ich neben Fachliteratur immer mal wieder gerne Bücher mit psychoanalytischen Inhalten und Hintergründe. Zuletzt hat mich „Mein größtes Rätsel bin ich selbst: Die Geheimnisse der Psyche“ von Cécile Loetz und Jakob Müller sehr angesprochen. Schöne und zum Teil auch sehr berührende Geschichten einfühlsam und lebensnah geschildert..