
Prof. Dr. Sebastian Pfotenhauer
Carl von Linde Professur für Innovationsforschung
Department of Science, Technology and Society
Facts:
- Was lesen Sie gerade?: Ui, viel zu viel. Momentan Tove Ditlevsens „Abhängigkeit“ und Wittstocks „Marseille 1940: Die große Flucht der Literatur.“
- wichtiger Gegenstand: Meine Geige
- seit Februar 2015 an der TUM
Interview
1. Wer sind Sie und was machen Sie an der SOT?
Oje, die existenziellen Fragen gleich zuerst? Ich bin jemand, der innerhalb eines vielschichtigen Systems voller Anforderungen und Normen versucht, Räume für persönliche Entfaltung und menschliches, solidarisches Miteinander aufzubauen. Und der sich sehr für Fragen von Innovation und sozialer Gerechtigkeit interessiert.
Ganz formal bin ich an der SOT vor allem Professor für Innovationsforschung und momentan Leiter des Departments of Science, Technology and Society. Ich leite auch den Master-Studiengang RESET („Responsibility in Science, Engineering and Technology”.
2. Was sind Ihre Forschungsfelder und was fasziniert Sie an diesen?
Ganz grob gesprochen treibt mich die Frage um, was „gute“ Innovation ist. Früher haben wir uns hauptsächlich mit der Frage beschäftigt, was Innovation überhaupt ist und wie wir für „mehr“ Innovation sorgen können. Heute ist Innovation allgegenwärtig, sowohl in Form neuer Technologien als auch im Sinne eines weitreichenden Diskurses, der Gesellschaften, Regionen und Organisationen maßgeblich prägt. Doch die Zeiten des Innovationsoptimismus ändern sich: In meiner Forschung versuche ich zu verstehen, wie wir als plurale Gesellschaften zu einer Übereinkunft kommen können, welche Art von Innovation wir als eigentlich wollen und brauchen – und wie man Innovationsprozesse so gestalten kann, dass man diese Werte und Bedenken adressieren kann. Oft beinhaltet das Fragen von Technologiedesign und Innovationsstrategien, oft aber auch Fragen zu Demokratie und politischer Gestaltung. Diese Fragen sind heute überall – z.B. bei Debatten zu KI, Zukunft der Mobilität, Neurotechnologie, Amazon, Facebook – und sie werden immer wichtiger.
3. Was sind die aktuell wichtigen Themenbereiche in Ihrer Forschung? Wie haben sich diese in den letzten Jahren verändert und haben Sie eine Idee, wie sich diese in den nächsten zwei Jahren verändern werden?
Ein großes Thema sind für mich regionale Innovationskulturen, d.h. wie unterschiedliche Gesellschaften mit dem globalen Innovationsdruck interagieren und was sie eigentlich von Innovation wollen. Was bedeutet es z.B., wenn jede Region ein Silicon Valley werden soll? Oder wenn Neurotechnologien hier anders reguliert werden als in China und den USA? Ein weiteres Thema die Zukunft der Mobilität und gerechte Transformationsprozesse. Was ich in den nächsten Jahren noch stärker angehen will sind größere Fragen, wie wir als Gesellschaft auf transformative Technologien reagieren können und wie Unternehmen verantwortungsbewusster innovieren können.
4. Wie sind Sie dazu gekommen, Professor zu werden und warum an der TUM?
Ich mag die Mischung, sozialwissenschaftliche Fragen in technik-intensiven Kontexten anzugehen. Das habe ich schon früher am MIT sehr genossen. Als die TUM dann ein neues Zentrum für Technik und Gesellschaft aufgebaut hat – das damalige Munich Center for Technology and Society – fand ich das mutig und interessant.
5. Was kann ein Studium heute leisten und warum sollten Menschen bei Ihnen studieren?
Ich glaube, ein Studium heute muss mehr leisten als nur Inhalte zu vermitteln, die man auch einem Buch oder dem Netz kriegen kann. Zum einen muss reicht es nicht mehr, Expert*in in einem Gebiet zu sein, sondern man muss auch kritisch reflektieren lernen, wie diese Expertise zu anderen Wissensformen und zum Rest der Gesellschaft im Verhältnis steht. Zum anderen braucht man deutlich mehr interaktive Kompetenz, d.h. das gemeinsame Denken und Machen sowie die Kompetenz, mit verschiedenen Perspektiven umzugehen. Bei uns lernen Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen (auch aus Technik und Naturwissenschaften), sich gemeinsam den schwierigen sozialen und politischen Fragen zu Technologie zu stellen.
6. Von wem haben Sie in Ihrem Leben am meisten gelernt?
Ach, da gibt es verschiedene Personen in unterschiedlichen Kontexten. Enge akademische Mentor*innen waren z.B. Sheila Jasanoff in Harvard oder Dava Newman und Dan Roos am MIT. Meine Geigenlehrer*innen waren prägend, aber natürlich auch Familie und enge Freunde. Der übliche Mix halt.
7. Gibt es etwas, was Sie schon immer mal ausprobieren wollten und wozu Sie noch nicht gekommen sind? Wenn ja, woran lag es, dass Sie noch nicht dazu gekommen sind?
Ein Buch schreiben. Die Publikationskultur hat sich auch in den Sozialwissenschaften in den letzten Jahren so verändert, dass Zeitschriftenartikel in kompetitiven englischen Journalen viel wichtiger geworden sind. Gleichzeitig nimmt die administrative Belastung an Universitäten auch zu. Bisher hat es zeitlich einfach nicht gepasst.
8. Mit welchem Satz würde Ihre Biografie beginnen?
Antwort: „Wozu braucht man heute eigentlich noch Biographien – diese meist heldenhaften, meist männlichen Narrationen unserer Welt?“
9. Wie könnte Ihr Alltag ohne Arbeit aussehen?
Kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Selbst ohne die TUM in meinem Leben bin ich sicher, dass mein Alltag ausgefüllt wäre. Aber ich sehe meine Arbeit eigentlich selten als unangenehme Pflicht, sondern eher als Privileg, mit spannenden Menschen an spannenden Themen zu arbeiten.
10. Wie verbringen Sie ihre Wochenende?
Im Moment oft im queerfeministischen Buchladen glitch, den ich gemeinsam mit Freund*innen (auch aus dem STS-Department) letzten Herbst gegründet habe und den wir mittlerweile als Kollektiv betreiben. Mit meinem Uni-Job bleibt mir oft nur das Wochenende.
11. Wie sind Sie auf die Idee gekommen einen eigenen Buchladen zu eröffnen?
Im Sommer 2023 haben meinen Freund*innen Stine, Nadine und Johanna mitbekommen, dass Lillemors, der erste Frauenbuchladen Deutschlands, bei dem wir auch oft Kund*innen waren, schließen sollte. Es hatte sich einfach keine Nachfolge gefunden, aus den üblichen Gründen: Mieten in München, Nischenthema, Amazon….
Aber Themen wie Feminismus, Queerness, Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit sind und bleiben enorm wichtig. Deswegen haben wir uns in Herz gefasst und versucht, quasi über Nacht ein Konzept zu erarbeiten, wie man den Buchladen auf kollektiver und non-profit Basis neu aufsetzen und auch ein etwas zeitgenössischeres Gewand geben können. Seit November 2023 bespielen wir als 40-köpfiges Kollektiv den Laden in der Barer Straße, kuratieren gemeinsam die Buchauswahl, organisieren Büchertische und Events, Bildungsangebote etc.
12. Gibt es einen Gegenstand, den Sie in Ihrem Leben nicht missen möchten? Wenn ja, welchen und warum?
Meine Geige.
13. Was lesen Sie gerade?
Ui, viel zu viel. Momentan Tove Ditlevsens „Abhängigkeit“ und Wittstocks „Marseille 1940: Die große Flucht der Literatur.“ Gerade habe ich auch Dirk Oschmanns „Der Osten – eine westdeutsche Erfindung“ in einem Ritt durchgelesen. Nebenbei auch Ursula K. LeGuins „Annals from the Wester Shore“.