Prof. Dr. Silke Beck
Lehrstuhl für Wissenschafts- und Techniksoziologie
Department of Science, Technology and Society
Facts:
- Lieblingsbuch: Die gleißende Welt von Siri Hustvedt
- wichtiger Gegenstand: Tisch - Um Gastfreundschaft zu pflegen
- seit Juni 2022 an der TUM
Interview
1. Wer sind Sie und was machen Sie an der SOT?
Mein Name ist Silke Beck. Seit 2021 bin ich Professorin für Wissenschafts- und Techniksoziologie im STS-Department an der SOT.
2. Was sind Ihre Forschungsfelder und was fasziniert Sie an diesen?
Seit Mitte der 1990er Jahren beschäftige ich mich mit dem menschgemachten Klimawandel und anderen globalen Umweltthemen wie Biodiversität, Wassermanagement und Nachhaltigkeit. Bei all diesen Thema – ähnlich wie der Pandemie – fasziniert mich, welche Rolle Forschung bei der Aufarbeitung dieser Probleme spielt. Ohne wissenschaftliche Modelle und Messungen können wir beispielsweise kaum nachvollziehen, in welchem Ausmaß wir Wandlungsprozesse in unserer Umwelt auslösen können, die wiederum massive Auswirkungen auf uns, unser Wohlbefinden, unsere Wirtschaft und Gesellschaft haben. Ich versuche zu entschlüsseln, wie bestimmte wissenschaftliche Modelle und Heuristiken wissenschaftliche und politische Themen rahmen und soz. „regierbar“ machen. Um ein Beispiel zu nennen: der menschgemachte Klimawandel wird erst durch Erd-System-Modelle berechenbar, mit einem „Preisschild“ versehen und dann mit einer bestimmten Technologie des Regierens (Foucault) – wie dem globalen CO2-Markt – gekoppelt. Dabei versuche ich – und darin sehe ich die Beiträge der Wissenschaftssoziologie im STS-Department - Wissensproduktion in größere Strukturen/Erklärungszusammenhänge einzuordnen und Entwicklungen wie die Evidenzbasierung von Politik, ihre Chancen, Risiken und Nebenwirkungen zu verstehen, d.h., wie Forschung/ Politikberatung gesellschaftliche Strukturen und Ungleichheiten widerspiegelt und dabei verschärft oder abbaut.
3.Was sind die aktuell wichtigen Themenbereiche in Ihrer Forschung? Wie haben sich diese in den letzten Jahren verändert und haben Sie eine Idee, wie sich diese in den nächsten zwei Jahren verändern werden?
Welche Beiträge können Forschung und neue Technologien (AI, Big Data, Negative Emission Technologien) leisten, um komplexe Herausforderungen wissenschaftlich abzuschätzen und gesellschaftlich verantwortlich zu gestalten. Oft werden hier die gesellschaftspolitischen Treiber, Dynamiken und Folgen ausgeblendet, und unsere Aufgabe ist es, so konkret wie möglich auszubuchstabieren, welche sozialen und politischen Folgen mit bestimmten Technologien einhergehen und welche Gestaltungsmöglichkeiten sich ergeben, diese verantwortlich und demokratisch zu steuern.
Beim Thema Klimawandel gehen wir beispielsweise eine riskante Wette auf die Zukunft ein, da die Verantwortung für und die Folgen unseres Handelns auf zukünftige Generation verlagert werden. Wir überziehen, ähnlich wie bei einem Kredit unser Konto. Viele dieser gesellschaftspolitischen Konflikte um die Verteilung von Lebenschancen und Ressourcen werden in die Wissenschaft verlagert und dort stellvertretend als Konflikte um ihre wissenschaftliche Evidenz ausgetragen. Das zeigt die enorme Definitionsmacht von Wissenschaft als auch ihre Kehrseite, nämlich, Versuche, Wissenschaft zu politisieren und für politische Zwecke zu mobilisieren.
Dass Vertrauen in Experten infrage gestellt und wieder gewonnen werden kann, ist kein wirklich neues Thema. Gleichzeitig beobachten wir auch, wie sich in vielen Ländern das gesellschaftliche Umfeld politisiert und polarisiert. Was mich umtreibt, ist die Frage, wie diese neuen Formen der Verflechtung Forschung und Politik/ Gesellschaft selbst verändern. Wie kann Forschung konstruktiv und verantwortlich auf neue Formen der Desinformation und alternative Fakten reagieren, wie können wir die „Streu vom Weizen“ – Lüge und Wahrheit - trennen, sagen, ob es sich um eine wissenschafts- oder evidenzbasierte Aussage oder glaubwürdige Information handelt oder nicht? Wie kann Wissenschaft ihre Definitionshoheit über die Interpretation von wissenschaftlichen Befunden gegenüber wirtschaftlichen Akteuren und politischen Bewegungen verteidigen, die ihre konstitutiven Grundlagen unterlaufen?
4. Welche drei Tipps können Sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geben, um erfolgreich interdisziplinär im Team zu forschen?
Gesunde‘ Neugier an Themen, die sie beschäftigen,
Einlassen auf Forschung als experimentelle und ergebnisoffene Suche nach vielschichtigen Ursachen und Erklärungen (Puzzeln),
Offenheit, Kritik- und Resonanzfähigkeit, sich mit anderen Sichtweisen zu „reiben“ und auf diese Weise neue und umfassendere Erkenntnisse zu gewinnen.
5. Wie sind Sie dazu gekommen, Professorin zu werden und warum an der TUM?
Nach meiner Dissertation und einem akademischen Jahr in Harvard wollte ich in der „Praxis“ arbeiten, Wissen umsetzen, im Feld arbeiten, von innen verstehen, wie Umweltforschung und Politikberatung „ticken“. Über 20 Jahre war in ich der außer-universitäten Forschung (HGF) tätig. Was mich zu einem Wechsel an die TUM motiviert hat, war die Chance, an der TUM eine neue School mit aufzubauen und in Lehre und Forschung zu entschlüsseln, was das „human“ in der TUM Mission bedeuten kann und die gesellschaftlichen Dimensionen – wie Fragen der Verantwortung und Gestaltung in enger Kooperation mit Bürgerinnen – zu entschlüsseln.
6. Was kann ein Studium heute leisten und warum sollten Menschen bei Ihnen studieren?
Viele unsere Studierende beschäftigt die Hoffnungslosigkeit angesichts von Krisen wie Krieg und Umweltproblemen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, denke aber, dass wir uns weder zum blinden Fatalismus oder Aktivismus verleiten lassen sollten. Meine Erfahrung in über 25 Jahren Technikfolgenabschätzung und Umweltforschung ist, dass sich bei näherer Betrachtung und in interdisziplinärer Forschung lokale und kleinskalige Lösung finden lassen, wie zum Beispiel neue Formen der dezentralen Wasserspeicherung angesichts von Starkregen, Hochwasser und Dürre.
Ich versuche, wissenschaftliche Konzepte, Kernkompetenzen und methodische Werkzeuge zu vermitteln, um Gegenstände wie die ‚gesellschaftliche Spaltung‘ ihrer Komplexität und ihrer Vielschichtigkeit zu verstehen (Diagnose), Wechselwirkungen zuzurechnen, um auf dieser (empirisch gesättigten) Basis Gestaltungsmöglichkeiten (Therapie) aufzuzeigen.
Mir persönlich ist es wichtig, nicht nur Konzepte und Inhalte frontal zu überbringen, sondern vor allem Fähigkeiten zu vermitteln, diese kritisch zu hinterfragen, auf neue Themen zu übertragen und eigenständig weiterzuentwickeln und nicht zuletzt zu überlegen, was alternative Lesarten wären. Das, was Dewey performatives Lernen genannt, beim Lernen zu lernen, wie man lernt.
7. Von wem haben Sie in Ihrem Leben am meisten gelernt?
Von meinen drei wunderbaren Kindern.
8. Gibt es etwas, was Sie schon immer mal ausprobieren wollten und wozu Sie noch nicht gekommen sind? Wenn ja, woran lag es, dass Sie noch nicht dazu gekommen sind?
Einen Roman schreiben
Woran lag es, dass ich noch nicht dazu gekommen bin?
Zeit und sicherlich auch mangelndes Talent
9. Mit welchem Satz würde Ihre Biografie beginnen?
Ich lese gerne Biografien, denke aber nicht, dass es meine Biografie geben wird oder sollte. Wer will denn schon über das unspektakuläre Leben einer deutschen Hochschulprofessorin lesen … morgens Seminar, nachmittags Büro, Sitzungen teil … machte Sport … gähn
10. Wie könnte Ihr Alltag ohne Arbeit aussehen?
Meinen Garten auf Klimaveränderungen anpassen, mich in eine große Bibliothek einschließen …., oder Nachbarschaftskneipe gründen …
11. Wie verbringen Sie Ihre Wochenenden?
Die Isar mit dem Rad erkunden und Zeit mit der Familie verbringen
12. Gibt es einen Gegenstand, den Sie in Ihrem Leben nicht missen möchten? Wenn ja, welchen und warum?
Tisch - Um Gastfreundschaft zu pflegen
13. Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum können Sie es empfehlen?
Siri Hustvedt: "Die gleißende Welt"
Ich bewundere Schriftstellerinnen, welchen es gelingt, grundlegende wissenschaftliche Fragen zu behandeln und gleichzeitig Worte und Bilder für zu das finden, was wir in der Wissenschaft nicht rational fassen können. Das Buch versucht, Genderverhältnisse in der Kunstwelt zu entlarven und das komplexe Funktionieren der menschlichen Wahrnehmung sichtbar zu machen. Beim Lesen dieses Vexierbildes ich habe ich mich oft bei dem Gedanken ertappt, ob es nicht vielleicht doch in der Wissenschaft ähnlich zugehen könnte.