
Prof. Dr. Timo Seidl
Professur für Political Economy
Department of Governance
Facts:
- Lieblings Buch: Kein Buch per se, aber ich bin ein großer Fan der Kurzgeschichten von Ted Chiang und der Art und Weise, wie er sehr grundsätzliche Fragen (oft auch zu Technologie) narrativ umkreist und durchdringt oder—in seinen eigenen Worten—‚storyable‘ macht.
- Lieblings Gegenstand: Man will ja nicht von Gegenständen abhängig sein, aber so ganz ohne Waschmaschine wäre schon nervig, nicht?
- seit März 2025 an der TUM
Interview
1. Wer sind Sie und was machen Sie an der SOT?
Mein Name ist Timo Seidl und ich bin Professor für Politische Ökonomie am Department of Governance der SOT sowie an der Hochschule für Politik.
2. Was sind Ihre Forschungsfelder und was fasziniert Sie an diesen?
In meiner Forschung beschäftige ich mich vorwiegend mit der politischen Ökonomie technologischen Wandels. Das heißt, ich schaue mir an, wie technologischer Wandel durch Dynamiken an der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik geprägt wird—aber diese umgekehrt auch prägt. Ich stelle mir dann Fragen wie: Wieso reagieren unterschiedliche Länder ganz unterschiedlich auf das Entstehen neuer Technologien und welche politischen, wirtschaftlichen, und sozialen Konsequenzen hat das? Wer oder was entscheidet, welche Technologien entwickelt und wie sie eingesetzt werden? Wie beeinflussen Narrative und Ideen welche und wie neue Technologien wahrgenommen, reguliert oder auch gefördert werden? Und welche Rolle spielen geopolitische Verwerfungen bei alledem?.
3. Was sind die aktuell wichtigen Themenbereiche in Ihrer Forschung? Wie haben sich diese in den letzten Jahren verändert und haben Sie eine Idee, wie sich diese in den nächsten zwei Jahren verändern werden?
Wie selten zuvor sehen sich Gesellschaften gegenwärtig mit den Herausforderungen technologischen Wandels konfrontiert. In meiner Forschung versuche ich, diesen Entwicklungen auf den Zahn zu fühlen, sei es die Rückkehr der Industriepolitik im Zeitalter strategischer Technologien, die Konkurrenz zwischen verschiedenen—US-Amerikanischen, Chinesischen, Europäischen—Digitalisierungsmodellen, oder die seltsame Welt von Kryptowährungen und ‚Web3‘.In den kommenden Jahren möchte ich mich darüber hinaus intensiver mit dem Zusammenkommen der zwei womöglich bedeutendsten technologischen Wellen der Gegenwart beschäftigen: Künstlichen Intelligenz einerseits, Biotechnologie andererseits.
4. Wie sind Sie dazu gekommen, Professor zu werden und warum an der TUM?
Gute Frage! Ich habe aus Gründen, die ich heute gar nicht mehr wirklich rekonstruieren kann, bereits im Master begonnen, mich intensiver Digitalisierung zu beschäftigen und habe dann auch zur politischen Ökonomie von Digitalisierung promoviert. Das war anfangs gar nicht so einfach, weil es keine wirklich etablierten Forschungstraditionen oder ‚communities‘ gab. Im Nachhinein—und daraus kann man vielleicht als angehende(r) Wissenschaftler*in etwas lernen—hat sich das als sehr vorteilhaft für mich erwiesen. Ich hatte frühe Publikationen zu Digitalisierungs- und Technologiepolitik und konnte mir dadurch recht früh einen Namen machen. Mit meinem Profil an der Schnittstelle von Technologie und Politik war ich dann wohl auch ein recht guter ‚fit‘ für die TUM. The rest is history wie man so schön sagt.
5. Was kann ein Studium heute leisten und warum sollten Menschen bei Ihnen studieren?
Ich finde diese Frage als andere als trivial und nicht einfach zu beantworten, ohne ins Floskelhafte abzudriften. Auf der einen Seite gibt es immer bessere online Lernressourcen und individualisierte K.I.-Tutoren, die dem Universitätsstudium in manchen Aspekten Konkurrenz machen. Auf der anderen Seiten sehen sich Universitäten mit wachsender Feindseligkeit und einem erstarkenden Obskurantismus konfrontiert. Vor diesem Hintergrund von Konkurrenz und Konflikt einfach wie gewohnt weiterzumachen, halte ich für einen Fehler. Ich denke, wir müssen daher einige Dinge neu denken, und dazu gehört auch die universitäre Lehre. Mein eigenes Verständnis von Lehre lehnt sich stark an ein (etwas kitschiges) Zitat von Plutarch an, nämlich das Menschen bilden nicht bedeutet, ein Gefäß zu füllen, sondern ein Feuer zu entfachen. Ich denke, dass der Wettbewerbsvorteil eines Universitätsstudiums in wichtigen und wachsenden Teilen darin besteht, dass es Studierende auf eine Weise für das Lernen und Forschen begeistern kann, die vielleicht konkurrenzlos ist—sei es durch das Erfahren intellektuellen Austauschs und das Vorleben intellektueller Tugenden, das Zusammensein (und Konkurrieren) mit anderen Studierenden, oder die orientierende, einordnende, anweisende Rolle von Lehrenden, die ihr Handwerk über viele Jahre zu meistern gelernt haben. Das ist dann auch, was ich—so gut ich das eben kann—in meinen eigenen Lehrveranstaltungen tun will. Da gehört Wissensvermittlung natürlich dazu—jedes Feuer braucht Brennstoff—aber es kann und soll nicht der einzige und vielleicht nicht mal mehr der primäre Zweck der universitären Lehre sein.
6. Von wem haben Sie in Ihrem Leben am meisten gelernt?
Es gab da nicht die eine Person—da bin ich auch nicht der Typ für. Persönlichkeitsformung und intellektuelle Entwicklung sind Teamprojekte, und ich hatte da in beiden Bereichen viel Glück mit meinen ‚team-mates‘: von meiner Familie und Freunden, meiner Partnerin, bis hin zu Ko-Autor*innen und Menschen, die gute Bücher, Artikel oder Blogs schreiben.
7. Gibt es etwas, was Sie schon immer mal ausprobieren wollten und wozu Sie noch nicht gekommen sind? Wenn ja, woran lag es, dass Sie noch nicht dazu gekommen sind?
Eine Sache, die ich nie gemacht habe und für die mir heute wohl auch etwas das Training (und wohl auch schlussendlich die Motivation fehlt) ist, an einer größeren alpinen Expedition teilzunehmen, auf einen 6000er in Zentralasien oder so. Das hat sich nie ergeben, aber es gibt ja immerhin noch genug metaphorische Berge zu besteigen in den nächsten Jahren :)
8. Mit welchem Satz würde Ihre Biografie beginnen?
“Man darf es ja eigentlich nicht zugeben, aber irgendwie habe ich mich schon immer mal gefragt, wie das wohl wäre, wenn jemand eine Biografie über mich schreiben würde.” Mit diesen Worten begrüßte mich Timo Seidl, als wir uns zum ersten Mal in einem Café in der Münchner Innenstadt die Hand schüttelten.
9. Wie könnte Ihr Alltag ohne Arbeit aussehen?
Das ist eine Frage, die man Akademiker*innen nicht fragt;) Aber ganz im Ernst, ich wäre wohl mehr draußen, würde mehr mit Freunden und Familie machen, und wäre wohl auch ein (noch) besserer Age of Empires 2 Spieler!
10. Gibt es einen Gegenstand, den Sie in Ihrem Leben nicht missen möchten? Wenn ja, welchen und warum?
Man will ja nicht von Gegenständen abhängig sein, aber so ganz ohne Waschmaschine wäre schon nervig, nicht?
11. Was ist Ihr Lieblingsbuch und warum können Sie es empfehlen?
Kein Buch per se, aber ich bin ein großer Fan der Kurzgeschichten von Ted Chiang und der Art und Weise, wie er sehr grundsätzliche Fragen (oft auch zu Technologie) narrativ umkreist und durchdringt oder—in seinen eigenen Worten—‚storyable‘ macht.